(iap) Im Chemieunterricht lernen Schüler nicht nur etwas über Biokunststoffe, sie werden sie bald auch mit ihren Händen begreifen können. Die Bausteine im Molekülbaukasten der Cornelsen Experimenta GmbH sollen künftig aus Biokunststoff hergestellt werden. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam-Golm unterstützt die Entwicklung dieser Materialien. Gemeinsam mit drei Unternehmen der Kunststoffbranche in Brandenburg und Berlin – der Uhde Inventa-Fischer GmbH in Berlin, der Linotech GmbH in Guben und der Hesco Kunststoffverarbeitung GmbH in Luckenwalde – sollen neue Typen des Biokunststoffs Polymilchsäure (PLA) entwickelt und für den Markt bereit gemacht werden.
Polymilchsäure ist ein Biokunststoff, der bereits in Alltagsprodukten eingesetzt wird, z. B. für Kinderspielzeug. Doch einige Eigenschaften von kommerziellem PLA überzeugen noch nicht, so etwa die Wärmeformbeständigkeit. Schon bei 60 °C verändert das Material seine Form. Für Kugelschreiber, die im Hochsommer im Auto liegen oder Kinderspielzeug, das im Geschirrspüler gereinigt werden soll, ist herkömmliches PLA nicht geeignet. Es besteht zu 96 bis 98 Prozent aus rechtsdrehenden Milchsäureeinheiten wie sie im Joghurt vorkommen. Der Rest sind linksdrehende Milchsäureeinheiten, die zufällig über die Ketten verteilt sind. Diese Zusammensetzung ist für die leichte Verformbarkeit schon bei relativ niedrigen Temperaturen verantwortlich.
Um dieses Problem zu beheben, haben das Fraunhofer IAP und die Uhde Inventa-Fischer GmbH in dem vom Ministerium für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg und der EU geförderten Projekt zwei neue PLA-Typen entwickelt: »Wir haben Milchsäureeinheiten auf neuartige Weise miteinander verknüpft«, erklärt Dr. Antje Lieske, Polymerforscherin am Fraunhofer IAP. »Daraus sind zwei neue PLA-Typen entstanden. Typ 1 nennt sich c-PLA und besteht zu 100 Prozent aus rechtsdrehenden Milchsäureeinheiten, die wie Perlen auf einer Schnur angeordnet sind. Der zweite Typ heißt sb-PLA und besteht aus zwei Sorten Perlenschnüren, die entweder 100 Perlen rechts- oder 100 Perlen linksdrehender Milchsäureeinheiten umfassen. Die beiden Schnüre sind immer abwechselnd miteinander verbunden«, so Lieske. Die Synthese des c-PLA erfolgte auf der Demonstrations-Pilotanlage von Uhde Inventa-Fischer in Guben, auf der bis zu 500 Tonnen PLA pro Jahr hergestellt werden können. Am Fraunhofer IAP kam für die Synthese des sb-PLA eine Miniplant-Anlage zum Einsatz, die nicht dafür bestimmt ist, große Mengen herzustellen, aber sehr flexibel an den Prozess angepasst werden kann.
In einem zweiten Schritt wurden die beiden neuen PLA-Typen bei der Firma Linotech GmbH durch spezielle Zusätze schlagzäh gemacht. »Dieser Schritt ist sehr wichtig, damit das PLA-Produkt auch sehr hohen mechanischen Belastungen standhalten kann. Wir entwickeln unter anderem Compounds für Kinderspielzeug aus nachwachsenden Rohstoffen. Jeder kann sich vorstellen, wie wichtig hier schlagzähe Materialien sind«, erklärt Linotech-Geschäftsführer Cord Grashorn.
In dem letzten Schritt wurde bei der Hesco Kunststoffverarbeitung GmbH das Testobjekt, ein Schwefelatom des Molekülbaukastens aus beiden PLA-Typen hergestellt und getestet – mit Erfolg: Schlagzähmodifizierte c- und sb-PLA-Typen sind bis 75 °C bzw. 90 °C formstabil und kristallisieren schneller als herkömmliches PLA. Das sb-PLA lässt sich zudem nahezu ebenso gut verarbeiten wie der aktuell verwendete erdölbasierte Kunststoff Acrylnitril-Butadien-Styrol, kurz ABS.
Hesco-Geschäftsführerin Birgitt Reiche: »Das untersuchte sb-PLA erfüllt die Anforderungen für diese Zielstellung in hervorragender Weise. Natürlich ist der Preis für biobasierte Produkte für den Einsatz im industriellen Maßstab ein ganz entscheidendes Kriterium«. Um einen neuen PLA-Typ als konkurrenzfähiges Marktprodukt etablieren zu können, muss der Spritzgießprozess noch wesentlich ökonomischer gestaltet werden. Zudem arbeitet das Fraunhofer IAP derzeit daran, den Prozess zur Herstellung von sb-PLA entscheidend zu vereinfachen.